Schaad, Daniel (Hrsg.): La Graufesenque (Millau, Aveyron) : Volume 1. Condatomagos, une agglomération de confluent en territoire rutène IIe siècle aC - IIIe siècle pC. Pessac 2007 : Fédération Aquitania, ISBN 978-2-910763-09-1 378 S.

: La Graufresenque (Millau, Aveyron) : Volume 2. Sigillées lisses et autres productions. Pessac 2007 : Fédération Aquitania, ISBN 978-2-910763-10-7 589 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Anne de Pury-Gysel

Jedem Forscher im Gebiet der gallo-römischen Archäologie ist der Namen der südfranzösischen Ortschaft La Graufesenque ein Begriff. Er steht für industriell in gigantischem Ausmass hergestelltes Tafelgeschirr aus Terra Sigillata, dessen chronologische Aussage in jeder Ausgrabung von geschätztem Gewicht ist. Die zahlreichen in La Graufesenque aktiven Töpfereien belieferten ab ca. 20 n.Chr. bis ins 2. Jh. namentlich die nordwestlichen Regionen des römischen Reiches, die Produkte gelangten aber auch nach Osten und darüber hinaus bis auf den indischen Subkontinent.
Die frühesten fundamentalen Arbeiten zur TS von La Graufesenque entstanden aufgrund der Funde aus den Militäranlagen in den germanischen Provinzen. Diese Publikationen wurden von unzähligen Archäologen benutzt, zusammen mit der 1934 veröffentlichen Arbeit von F. Hermet zu den TS-Funden aus La Graufesenque selbst1. Zu den Töpfereien hingegen lag keine zusammenfassende Arbeit vor, indessen wurden schon früh die so genannten Töpferrechnungen, auf TS-Teller gravierte Listen zugänglich gemacht2. Sie geben bislang einen guten Einblick in die Organisation dieser Manufakturen. Gleichwohl blieb es recht schwierig, wollte man sich ein Bild über den Herstellungsort selbst, La Graufesenque — oder lateinisch Condatomagus — machen. Die regelmässig fortgeführte Erforschung von La Graufesenque begann zwar im frühen 20. Jh., war aber schlecht zugänglich.
Diese Lücke füllen nun die beiden vorliegenden Bände mit den gewichtigen Resultaten von 25 Forschern, die unter der Leitung von Daniel Schaad ein Werk geschaffen haben, dessen Vielschichtigkeit und Qualität hohen Ansprüchen gerecht wird.
In Band 1 liegt in fünf Kapiteln die weitgehende Auswertung der Ausgrabungen vor. Nach der topographischen und historischen Einordnung des Ortes (Kapitel 1) werden in Kapitel 2 die Resultate der fünf unterschiedlich langen Grabungsperioden dargestellt (D. Schaad, A. Vernhet und M. Vidal). Besonders erwähnenswert ist neben den Töpfereibezirken die zwischen 1973 und 1981 ausgegrabene Heiligtumszone mit Tempel und Quellfassungen. Das Heiligtum wird vollständig samt der Auswertung der Funde dokumentiert und auch mit architektonischen Rekonstruktionsvorschlägen illustriert (D. Schaad, C. Darles, M. Genin, M. T. Marty, Ph. Sciau und M. Feugères). Ein einmaliges Objekt ist ein 48 cm hoher, vasenartiger Aufsatz aus TS, der möglicherweise wie ein Akroter den First des Tempels bekrönt hat (S. 121, Abb. 167).
Ein drittes Kapitel ist den Fragen der Herstellung der Terra Sigillata und den dabei zur Anwendung gekommenen Töpferöfen mit tubuli gewidmet. Während drei Jahren wurden in neu gebauten gleichartigen Öfen Brennversuche unternommen, die zusammen mit den Tonanalysen wichtige Resultate für die Fachwelt lieferten (D. Schaad, C. de Casas, J. und M. Fernandes).
Im vierten Kapitel werden keramische Sondergruppen behandelt. Dazu zählen einerseits die gelochten Gefässe, die offenbar in der Fischzucht zur Anwendung kamen (D. Schaad), und andererseits Fragmente von drei Kaiserporträts aus TS, davon eines von Caligula und vielleicht ein anderes des jungen Nero! Die spannenden Ergebnisse zu diesem Porträt verdanken wir J. Ch. Balty, A. Bourquillon, D. Chabanne, C. Mirguet, D. Schaad, Ph. Sciau und C. Servelle. Es handelt sich um drei Beispiele jener in der antiken Literatur beschriebenen Porträts billiger Natur und schlechter Qualität, die einer andern Klientel bestimmt waren als die Bildnisse aus Marmor und andern kostbaren Materialien, und die auch an andern Orten als diese aufgestellt waren, z.B. in Läden und Tavernen. Die Bildnisse von Caligula fielen nach seiner kurzen Regierungszeit (37–41 n.Chr.) der damnatio memoriae anheim. Dies konnte sogar für das TS-Porträt aus La Graufesenque nachgewiesen werden: Es wurde willentlich zerschmettert, mit dem Hammer zerkleinert, und anschliessend müssen die Bruchstücke im Strassenbelag unter die Räder von Karren gekommen sein — eine verächtlichere Behandlung lässt sich für ein Kaiserporträt kaum denken!
Den Schluss des ersten Bandes macht das Kapitel zu den 706 Fundmünzen (davon 626 vorhadrianisch), eine ausgezeichnete numismatische und geldgeschichtliche Analyse eines Münzspektrums aus dem Süden Galliens (P. A. Besombes, F. Dieulafait, V. Geneviève, J. C. Richard und D. Schaad).

Der zweite Band ist den Produktionen von glatter Terra Sigillata gewidmet, ein keramisches Material, dem in der Regel weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird als der Reliefware. Die Hauptautorin, Martine Genin, hat sich dieser Aufgabe mit grossem Einsatz und mit rigorosen methodischen Ansätzen unterzogen.
Den Anfang macht der Beitrag mit den Analysen von Ton und Überzügen der verschiedenen Produktionen (Ph. Sciau, C. Dejoie, S. Relaix und Ph. de Parcefal). Dabei sei besonders der Abschnitt zur marmorierten TS erwähnt, eine kleine Sondergruppe, die jedoch ebenfalls übers ganze römische Reich verstreut zu finden ist. So erfahren wir, dass der gelbe Anteil in den zweifarbigen Überzügen durch den natürlichen Gehalt an Titan im benutzen Ton erzeugt ist (S. 26).
Im nächsten Kapitel werden die frühesten Produktionen der augusteischen Zeit besprochen, die weder in Material noch Form mit dem Kanon der typischen TS von La Graufesenque übereinstimmen. Hier sind vielmehr die engen Verbindungen zu den «ateiana» aus den Herstellungszentren in Italien und in Lyon bekräftigt, sowohl im Formalen (S. 42, Abb. 19). als auch im Materiellen
Hauptsächlich aber wurden immense Mengen an fragmentiertem, glattwandigem TS-Geschirr aus sechs geschlossenen Keramikdepots unterschiedlicher Zeitstellung aus La Graufesenque untersucht. Ihre Auswertung hat erlaubt, die Entwicklungsgeschichte der glattwandigen TS der Töpfereien von La Graufesenque zu skizzieren, die Formenrepertoires zu rekonstruieren und zu datieren. Daneben entstand das Corpus von nicht weniger als 32 251 Töpferstempeln, die gesichtet, gelesen und eingeordnet werden mussten! Als Resultat figurieren S. 170–260 die Töpferstempel in Listenform, alphabetisch geordnet und nummeriert, versehen mit Angabe von Frequenz, Fundort und Datierung, sowie begleitet von Faksimilezeichnungen auf den entsprechenden Tafeln. Ob eine Kolonne mit den Umschriften der abgebildeten Stempelexemplare nicht auch hätte angefügt werden sollen? Als kleine Schwierigkeit bei der Benutzung dieses wichtigen Werkes könnte sich die zweifache Abbildung der Stempel mit jeweils unterschiedlicher Nummer erweisen, einmal in der erwähnten Stempelliste und zum andern Mal in den zugehörigen Fundensembles. Querverweise hätten hier Klarheit verschafft.
Auf eine der Auswertungsmethoden, die Metrologie, sei besonders hingewiesen. So haben die unzähligen Messungen am Durchmesser bestimmter Gefässformen, etwa an den Schälchen Drag. 24/25 und Drag. 27 sowie an den Schüsselchen Ritterling 12 zum Resultat geführt, dass verschiedene Module dieser Typen hergestellt wurden und dass je nach Zeitstellung das kleinere und das mittlere oder aber das mittlere und das grössere Modul vorherrschten. Das heisst nichts anderes, als dass die Gefässgrösse besonders bei grösseren Mengen von TS auch chronologisch auswertbar ist, selbst wenn der Stempel fehlt. Gerade solche glattwandigen TS-Fragmente wurden und werden oft allzu schnell als uninteressant und aussagearm beurteilt und nicht im Einzelnen ausgewertet. Überdies müssen die Änderungen der Gefässgrössen wohl auch Veränderungen der Essgewohnheiten entsprochen haben.
Am Schluss des Bandes (S. 273–312) werden auf Grund der vielen Erkenntnisse bestimmte Gesichtspunkte beleuchtet. So ist die jeweilige Produktionszeit der Töpfereien geprüft, werden die Verbindungen zu den andern TS-Manufakturen Südgalliens untersucht, wird das Namensmaterial analysiert sowie der nicht zu lösenden Frage nachgegangen, aus welchem Grund die Terra Sigillata gestempelt wurde, die glatte Ware systematisch aber nur bis etwa 50 n.Chr.

1 F. Hermet, La Graufensenque (Condatomagos). 1, Vases sigillés; 2, Graffites. Paris 1934
2 A. Oxé, Die Töpferrechnungen von La Graufesenque. BJb 130, 1925, 38–99.

Zitierweise:
Anne de Pury-Gysel: Daniel Schaad (dir.) Condatomagus, une agglomération de confluent en territoire rutène: IIe s. a.C.–IIIe s. p.C. Mit Beiträgen von Jean-Charles Balty, Paul-André Besombes, Anne Bouquillon, Christine de Casas, Delhia Chabanne, Christian Darles, Catherine Dettaï, Francis Dieulafait, José und Mathias Fernandes, Michel Feugère, Vincent Geneviève, Martine Genin, Marie-Thérèse Marty, Claude Mirguet, Jean-Claude Richard, Daniel Schaad, Jean-Luc Schenck-Davic, Philippe Sciau, Christian Servelle, Alain Vernhet, Michel Vidal. La Graufesenque (Millau, Aveyron), Vol. I, Fédération Aquitania, Pessac 2007. Zuerst erschienen in: Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 94, 2011, S. 307-308

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Zuerst veröffentlicht in

Jahrbuch Archäologie Schweiz, Nr. 94, 2011, S. 307-308

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